F.acT: Wieso ist das Thema für die Tiroler Tourismuswirtschaft relevant?
Vittoria Sartori: Tourismusdestinationen sind komplexe Systeme, die sich aus zahlreichen Akteuren mit unterschiedlichen Zielen zusammensetzen, die jedoch ein gemeinsames Interesse daran haben, die Wettbewerbsfähigkeit der Destination zu steigern. Touristen nehmen Destinationen ganzheitlich wahr und kommen während ihres Aufenthalts mit mehreren Tourismusunternehmen in Kontakt. Diese Vernetzung erfordert Zusammenarbeit und Koordination zwischen den Akteuren, die gleichzeitig um das individuelle Budget der Touristen konkurrieren. In einem solchen Kontext erweist sich Koopetition – das gleichzeitige Zusammenspiel von Kooperation und Wettbewerb – als relevante Strategie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Destinationen. Zu verstehen, wie und warum lokale Wettbewerber kooperieren, ist besonders wichtig für Tiroler Destinationen, wo die Größe der Gemeinde, die geografische Nähe und starke zwischenmenschliche Beziehungen eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Kooperationsdynamik spielen.
F.acT: Welches methodische Vorgehen haben Sie in Ihrer Arbeit angewandt?
Vittoria Sartori: Angesichts der explorativen Forschungsfrage wurde ein qualitativer Ansatz gewählt. Es wurden 16 halbstrukturierte Interviews mit wichtigen Akteuren der Tourismusbranche durchgeführt, die in der alpinen Destination Madonna di Campiglio tätig sind, darunter Vertreter von Hotels, Restaurants/Berghütten, Skischulen, Ski- und Fahrradverleihen, der Skiliftgesellschaft und der lokalen DMO. Alle Interviews wurden auf Italienisch durchgeführt und anhand einer strukturierenden (deduktiven) qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ausgewertet. Dieser Ansatz ermöglichte es, Muster und Kategorien innerhalb der Daten zu identifizieren und empirische Belege mit bestehenden Theorien zur Koopetition zu verknüpfen. Das qualitative Design ermöglichte eine eingehende Untersuchung der kontextspezifischen und relationalen Dynamiken zwischen den Akteuren.
F.acT: Was sind die Kernergebnisse Ihrer Arbeit und welche Bedeutung haben diese für touristische Destinationen und Betriebe?
Vittoria Sartori: Die Ergebnisse zeigen, dass Koopetition in alpinen Tourismusdestinationen vielfältige Formen annimmt. Sie tritt sowohl horizontal – zwischen ähnlichen Akteuren wie Hotels – als auch vertikal – zwischen Akteuren aus verschiedenen Sektoren wie Hotels und Skischulen – auf. Diese Beziehungen sind meist informell, ungeplant und entstehen eher aus persönlichem Vertrauen und sozialen Bindungen als aus strategischen Entscheidungen. In kleinen, gemeinschaftsorientierten Destinationen entwickeln sich Koopetition-Beziehungen als spontane und implizite Vereinbarungen, die sich im Laufe der Zeit entsprechend der saisonalen Dynamik weiterentwickeln.
Diese Studie hat gezeigt, dass die Intensität der Zusammenarbeit und des Wettbewerbs je nach Touristenaufkommen variiert: In der Hochsaison sind beide Kräfte ausgeglichen, in der Nebensaison verschärft sich der Wettbewerb, und in Krisenzeiten (z. B. COVID-19) erreicht die Zusammenarbeit ihren Höhepunkt, da sich die Akteure zusammenschließen und ihre Kräfte bündeln, um dem Reiseziel zu helfen, sich von einer solchen Krise zu erholen. Ich habe diese Dynamik in einem Diagramm dargestellt (siehe unten), in dem man von rechts nach links sehen kann, wie sich die „Koopetition-Kurve”, also die Intensität der Zusammenarbeit und des Wettbewerbs, je nach Touristenaufkommen verändert.

Vittoria Sartori: Zu den Beweggründen für eine Zusammenarbeit gehören die Verbesserung des touristischen Gesamterlebnisses, die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und Wissen, die Senkung der Kosten durch gemeinsame Maßnahmen und die Aufrechterhaltung der Attraktivität des Reiseziels. Soziale und vertrauensbasierte Motive erwiesen sich als zentrale Triebkräfte, während die Rolle der DMO als unterstützend, aber nicht zentral angesehen wurde. Die Interessengruppen äußerten den Wunsch nach einer stärkeren Einbindung in Entscheidungsprozesse und mehr Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit von unten nach oben.
F.acT: Welche konkreten Handlungsempfehlungen geben Sie in Ihrer Masterarbeit?
Vittoria Sartori: Auf Grundlage der Ergebnisse liefert die Arbeit mehrere praktische Empfehlungen für Destinationsmanager:innen und Akteure im Tourismusbereich:
- Förderung einer kontinuierlichen Kommunikation und eines Wissensaustauschs zwischen den Akteuren.
- Förderung der gemeinsamen Gestaltung von Destination-Events und gemeinsamen Werbemaßnahmen, insbesondere in der Nebensaison.
- Unterstützung der Bildung von Einkaufsgemeinschaften zur gemeinsamen Nutzung von Kosten und Ressourcen.
- Ausgleich von Machtasymmetrien innerhalb von Netzwerk-Kooperationsbeziehungen, um Inklusivität zu gewährleisten.
Insgesamt unterstreicht die Studie, wie wichtig es ist, spontane, informelle Kooperationen in strukturierte und strategisch koordinierte Beziehungen umzuwandeln. Die Stärkung solcher Netzwerke kann sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch die Widerstandsfähigkeit von Tourismusdestinationen verbessern.
Diese Forschungsarbeit trägt zum Verständnis der Koopetition in Tourismusdestinationen bei und hebt deren Relevanz für den alpinen Kontext hervor. Sie liefert sowohl theoretische als auch praktische Erkenntnisse zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen Tourismusakteuren bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung eines gesunden Wettbewerbs, was letztlich die Gesamtleistung und Nachhaltigkeit von Destinationen verbessert.

