F.acT: Wieso ist das Thema umfassender Barrierefreiheit nicht nur für Menschen im Rollstuhl relevant?
Bernhard P. Gruber:
Barrierefreiheit geht uns Alle an - die schwangere Frau, Eltern mit Baby im Kinderwagen, das Kleinkind auf dem Lauf- oder Dreirad, der Teenager mit Gipsbein, der arbeitende Mensch mit Rückenbeschwerden, der betagte Mensch im hohen alter und natürlich behinderte Menschen in allen bekannten Auspräfungen. Heute gesund, morgen auf einen Behelf angewiesen, niemand ist davor gefeit. Mit dem Begriff umfassende Barrierefreiheit sind alle baulichen Maßnahmen wie Aufzüge, Rampen, Handläufe, taktieLeitsysteme, Belagsoberflächen, Nassräume, silent rooms usw. aber natürlich auch barrierefreie Informationszugänge ,wie Infotafeln, Internet oder andere Informationsmöglichkeiten in allen Bereichen des täglichen Lebens gemeint. Diese Dinge werden in den verschiedenen Baugesetzen wie TBO und OIB 4 grundsätzlich verlangt. Es braucht aber in jedem einzelnen Fall die Beurteilung von möglichst selbst betroffenen Expert:innen. Wir haben in Österreich die Situation, dass in den verschiedenen Tief- und Hochbauverfahren die Sachverständigen für die Flora und Fauna verpflichtend Gutachten abgeben müssen. Für den Bereich umfassende Barrierefreiheit ist der Sachverständige für barrierefreies Planen und Bauen nicht verpflichtend, was ich schon seit vielen Jahren einfordere.
In den verschiedenen Behindertengleichstellungsgesetzen und der UN BRK ist die Kernforderung die uneingeschränkte Teilhabe für alle Menschen. Das bedeutet, dass ein eingeschränkter Mensch verlangen kann, dass ihm im alltäglichen Leben und ach im Freizeit- und Tourismusbereich die gleichen Möglichkeiten zur Verfügung stehen wie einem gesunden Menschen. Es besteht die Möglichkeit der Klage, bei der es aber immer im vorgesetzen Schlichtungsverfahren beim Sozialministeriumsservice zu einer Einigung kommt bei der eine Schadensersatzzahlung ausverhandelt wird. Der Grund der angestrebten Klage, nämlich die Barriere, aber nicht behoben werden muss. Der Grundsatz für jede barrierefreie Maßnahme/Projekt muss immer die geschlossene barrierefreie Servicekette sein. Fehlt ein Glied, ist das Angebot nicht barrierefrei!

F.acT: Wieso sollte sich speziell der Tourismus diesem Thema verstärkt annehmen?
Bernhard P. Gruber: Barrierefreie Tourismusangebote generieren einen hohen Mehrwert für eine touristische Region. Eingeschränkte Menschen kommen meistens in Begleitung oder mit Familie und bleiben wenn es barrierefreie Zimmer gibt - auch gerne einige Tage, um die Region zu erkunden. Eingeschränkte Menschen sind finanziell gut ausgestattete Gäste, wissen um den benötigten Zusatzaufwand und sind gerne bereit, den einen oder anderen Euro mehr zu bezahlen, wenn die angebote auch einwandfrei barrierefrei sind. Österreich ist ein Land, in dem jede Region verschiedenen, aber unterschidlich einzigartige Naturschönheiten bieten kann. Gerade für eingeschränkte Menschen/&Gäste, ist die Möglichkeit, bewegende Naturerlebnisse, trotz Einschränkung, erleben zu können, ein Lebensmotor.
Solche Erlebnisse laden den menschlichen Akku für Monate und erzeugen ein positives Lebensgefühl trotz Einschränkung. Versucht euch vorzustellen, wie es einem Rollstuhlfahrer aus einer großen Stadt geht, der sich plötzlich auf 1700m Seehöhe in der Bergwelt Hahnenkamm in Reutte mit seinem/ihrem Rollstuhl bewegen kann und am barrierefreien Speichersee sitzend auf die Zugspitze blickt. Ein anderes Beispiel ist das Feedback von Besuchenden auf Schloss Ehrenberg, welche die Highline 179 das erste Mal wieder besucht hatten, nachdem er Mann im Rollstuhl war: “Mein Mann hat sich gefreut wie ein kleines Kind, als er mit seinem Elektrorollstuhl über die Brücke fuhr. Was war das für ein gigantisches Erlebnis für ihn. Es war so schön für mich zu sehen, wie er sich freute und die Freiheit auf der Brücke genoss.” Diese Beispiele zeigen, wie tief diese Urlaubserlebnisse sein können.
Zudem erzeugt das gemeinsame Urlaubszeit verbringen von gesunden und eingeschränkten Menschen ein ganz besonderes Klima und baut Ängste und Barrieren im Umgang zwischen den Menschen ab. Ich habe den Hotelier Hardy Marolt vom Hotel Orchidee am Klopeinersee zum Thema Barrierefreiheit beraten und dort den ersten barrierefreien Seezugang mit einerm Hydrolift initiiert. Das Hotel Orchidee ist mittlerweile ein ausgezeichnetes Hotel der Inklusion, gesunde und eingeschränkte Gäste mit und ohne Hund gemeinsam ihren Urlaub verbringen. Ich kann aus mehreren eigenen Urlauben mit meiner Familie und unseren Hunden berichten, welch unglaublich menschliches Klima dort herrscht.

F.acT: Welche best practises für Barrierefreiheit gibt es im Bereich Tourismus - und Freizeitwirtschaft?:
Bernhard P. Gruber:
Neben den bereits genannten Beispielen in Reutte mit Ehrenberg und der Bergwelt Hahnenkamm, die mit 7 barrierefreien Rolli-Wanmdertouren punkten, ist auch noch der Grünberg in der Region Dachstein Salzkammergut zu nennen. Hier können Menschen mit Mobilitätseinschränkung die Idlyye über dem Traunsee genießen. Als Best Practice für Hotels ist ebenso das Hotel Weisseespitze im Kaunertal ein Vorzeigebetrieb.