Welcher Fragestellung haben Sie sich im Rahmen Ihrer Masterarbeit angenommen und worin liegt die Relevanz dieser Forschung?
Yvonne Farmer: In meiner Masterarbeit beschäftige ich mich mit der Work-Life-Balance (WLB) von Mitarbeiter:innen im Tourismus. Die Fragestellung lautet: Wie intensiviert sich die Bedeutungszuschreibung von WLB bei Tourismusmitarbeiter:innen im Verlauf ihrer Lebenserfahrungen?
Die Relevanz dieser Untersuchung ergibt sich aus den prekären Arbeitsbedingungen in der Tourismusbranche. Unangemessene Arbeitszeiten, geringe Stabilität und unsichere Verträge erschweren die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben und führen zu einer hohen Mitarbeiterfluktuation in der Branche. Gleichzeitig sind zufriedene Mitarbeiter:innen entscheidend für den Unternehmenserfolg, da ihr Engagement, ihre Motivation und ihre Leidenschaft die Servicequalität maßgeblich beeinflussen. Eine ausgewogene WLB wird deshalb als eine wichtige Strategie angesehen, um Mitarbeiter:innen langfristig zu halten, eine bessere Arbeitsumgebung zu schaffen und das Wohlbefinden der Mitarbeiter:innen zu fördern. Besonders seit der Covid-19-Pandemie hat die Forschung zur WLB im Tourismus deutlich zugenommen, was die Relevanz des Themas zusätzlich unterstreicht.
Was darf man unter der Framing-Theorie verstehen und welche Bedeutung hat sie für Ihre Arbeit?
Yvonne Farmer: Die Framing-Theorie, die 1974 von Goffman in den Sozialwissenschaften etabliert wurde, beschreibt, wie Individuen Wahrnehmung und Bedeutung konstruieren und dadurch ihre Bewertungen und Entscheidungen beeinflusst werden. Dabei wird unterschieden zwischen Frames und Framing: Frames sind mentale Schablonen, die komplexe Informationen aus der Umwelt vereinfachen. Framing hingegen ist der dynamische Prozess sozialer Bedeutungskonstruktion, der auf bestehenden Frames basiert.
In meiner Arbeit wird Framing verwendet, um die prozesshafte Entwicklung der Bedeutungszuschreibung von WLB auf individueller Ebene zu verstehen. Weiters wird die Frame-Amplification Technik als Analyseinstrument zur Darstellung der Intensivierung eingesetzt, um aufzuzeigen, wie Lebenserfahrungen und Werte die Bedeutung von WLB im Tourismus verstärken. In den Interviews wird die Intensivierung durch Kontraste, Wiederholungen, Metaphern und Emotionen sichtbar.
Welcher Prozess hat sich durch Ihre Forschungsarbeit für Arbeitnehmer:innen im Tourismus abgebildet?
Yvonne Farmer: Durch meine Forschungsarbeit kann aufgezeigt werden, dass die Bedeutungszuschreibung von WLB für Mitarbeiter:innen im Tourismus ein prozesshafter Verlauf ist, der sich entlang individueller Lebenserfahrungen entwickelt und intensiviert. Dabei lassen sich drei Phasen erkennen:
1. Phase: Sensibilisierung für die Bedeutung von WLB
Bestimmte Wendepunkte wie Umzug, persönliche Reifungsprozesse (Berufseinstieg, zunehmendes Alter), Familie und Partnerschaft, Verlustereignisse oder Pandemieerfahrungen führen dazu, dass Mitarbeiter:innen erstmals bewusst die Bedeutung einer ausgewogenen WLB wahrnehmen.
2. Phase: Stabilisierung von Wertehaltungen zur WLB
Aus den Erfahrungen heraus festigen sich zentrale Werte wie Selbstbestimmung, soziale Teilhabe und Beziehungen, physisches und psychisches Wohlbefinden, Selbstfürsorge sowie Anerkennung und Unterstützung.
3. Phase: Integration der WLB in berufsbezogene Entscheidungen
Die Werte werden schließlich handlungsleitend und beeinflussen berufliche Entscheidungen, etwa in Form von Branchenwechsel oder der bewussten Auswahl von Arbeitgeber:innen, die eine ausgewogene WLB ermöglichen.
Der Prozess zeigt: Die WLB-Bedeutungszuschreibung ist kein statisches Konzept, sondern ein dynamischer Prozess, der die berufliche Orientierung und Entscheidungen von Mitarbeiter:innen im Tourismus prägt.
Welche Handlungsempfehlungen haben Sie für Tourismusbetriebe, um die Zufriedenheit von Arbeitskräften im Tourismus zu steigern?
Die Arbeit zeigt, dass die Wendepunkte im Leben von Mitarbeiter:innen entscheidend sind für den Beginn der Bedeutungszuschreibung von WLB. Tourismusbetriebe sollten diese Wendepunkte aktiv wahrnehmen und frühzeitig mit situationsangepassten Unterstützungsangeboten reagieren, z.B. durch flexible Arbeitszeitmodelle oder Sonderregelungen in besonderen Lebenslagen.
Darüber hinaus ergeben sich werteorientierte Handlungsempfehlungen, bei der sich die Maßnahmen an den Werten orientieren:
Soziale Teilhabe:
- Freie Tage für private Meilensteine
- Individuelle Wunschtermine bei der Dienstplanung berücksichtigen
- Gemeinsame freie Tage für Paare oder Freund:innen im selben Betrieb
- Unterstützung bei Vereinbarkeit von Familie und Beruf (z. B. Sonderurlaub, Kinderbetreuung)
Selbstbestimmung:
- Flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Gleitzeit, Homeoffice, Mitspracherecht bei Dienstplänen)
- Arbeitgeber*innen gezielt schulen, um Flexibilität und Partizipation im Tourismus zu ermöglichen
- Individuelle Karriere- und Aufgabenvereinbarungen
- Möglichkeit zur aktiven Mitgestaltung von Arbeitsprozessen
- Kontingent an flexiblen Tagen bereitstellen
Selbstfürsorge:
- Aktive Freizeitgestaltung fördern (z. B. bezahlte wöchentliche Stunde für Spaziergang, Yoga, Massage)
- Zusammenhängende freie Tage zur Regeneration
- Sensibilisierung für den bewussten Umgang mit Pausen und Freizeit
- Einhaltung von Ruhezeiten
- Attraktive Rückzugsräume
Psychisches & physisches Wohlbefinden:
- Monatliche Workshops zur Stress- und Überlastungsprävention (z. B. Dienstpläne mit ausreichenden Erholungszeiten, Vermeidung von Doppelschichten und kritischen Schichtfolgen, gute Personaleinsatzplanung zur Vermeidung von Überlastung)
- Entspannungs- und Gesundheitsangebote (z. B. Yoga, Meditation, Sportprogramme)
- Förderung von gesundheitsgerechter Arbeitsplatzgestaltung
Anerkennung & Unterstützung:
- Wertschätzende Feedbackkultur etablieren (z. B. regelmäßiges Feedback, kleine Anerkennungsgesten, Teamgespräche)
- Gemeinsame Aktivitäten außerhalb der Arbeitszeiten anbieten
- Unterstützende Kommunikation über digitale Tools ermöglichen (z. B. flexibles Schichttauschen)
- Sammelboxen für Dankesnachrichten und Lob im Betrieb bereitstellen
- Unterstützung des privaten Umfeldes stärken (z. B. Informationsflyer für Angehörige zu typischen Belastungen im Tourismus, digitale Infoveranstaltungen zu Dienstplanlogik und saisonalen Belastungsspitzen)
Arbeitgeber:innen sollten empathisch, wertschätzend und unterstützend auf Wendepunkte und individuelle Werte ihrer Mitarbeiter:innen reagieren. So können Betriebe nicht nur die Zufriedenheit steigern, sondern auch die langfristige Bindung und Motivation sichern.