Dieses Forschungsprojekt wurde im Jahr 2019 umgesetzt und hatte die Entwicklung von Indikatoren zur Messung der Lebensqualität in Tirol zum Ziel. Diese Lebensqualitäts-Indikatoren sollen aufzeigen, wie die Lebensqualität in ausgewählten Tourismusdestinationen Tirols von verschiedenen Bevölkerungsgruppen wahrgenommen wird und wie sie vom Tourismus sowie dessen unterschiedlichen Ausprägungsformen und Entwicklungen beeinflusst wird.
Die zentrale Forschungsfrage lautete: “Wie beeinflusst die Tourismusentwicklung die Lebensqualität in Tiroler Destinationen und welche Faktoren sind ausschlaggebend für eine positivere/negativere Wahrnehmung?”. Die Studie betont die Relevanz einer hohen wahrgenommenen Lebensqualität der Einheimischen für eine nachhaltige und erfolgreiche touristische Entwicklung. Es wird hervorgehoben, dass die Erfassung rein ökonomischer Effekte (z.B. BIP) zur Beurteilung des Wohlstands einer Region unzureichend ist, was die Notwendigkeit zur Entwicklung eines umfassenderen Messinstruments unterstreicht.
Vorgehensweise und Methoden
Das Projekt folgte einer strukturierten fünfstufigen Vorgehensweise:
1. Theoretischer Hintergrund:
Eine systematische Literaturanalyse definierte den Begriff der Lebensqualität mit Fokus auf den Tourismus und identifizierte in diesem Zusammenhang relevante theoretische Konzepte und bestehende Indikatoren. Hierbei wurde festgestellt, dass sich die Definition von Lebensqualität von einer quantitativen zu einer qualitativen Interpretation des subjektiven Wohlbefindens entwickelt hat und als mehrdimensionales Konstrukt verstanden wird, das objektive und subjektive Indikatoren sowie verschiedene Lebensbereiche umfasst.
2. Entwicklung von Messindikatoren:
Die aus der Literaturrecherche gewonnenen Indikatoren wurden in einer Fokusgruppe mit sieben Expert:innen diskutiert, um sie anzupassen und weiterzuentwickeln. Im Ergebnis dieses Schrittes wurde eine Sammlung relevanter Indikatoren zur Messung der Lebensqualität in Tirol erstellt. Kulturelle und politische Faktoren wurden in dieser Studie nicht berücksichtigt, da in Tirol keine signifikanten Unterschiede in diesen Bereichen erwartet wurden und die Befragungsdauer begrenzt war. Auch objektive Parameter zur Lebensqualität wurden nicht direkt herangezogen, da sie den Einfluss der touristischen Entwicklung auf die Bewohner nicht direkt messen. Für jeden Indikator wurden zwei Fragenkategorien entwickelt: die generelle Zufriedenheit und der Einfluss des Tourismus.
3. Evaluation der Messindikatoren zur Indexerstellung:
Die gesammelten Indikatoren wurden Experten aus der Tourismusbranche und -forschung präsentiert und diskutiert. Ein Modell zur Berechnung des Lebensqualitätsindex (LQI) wurde erstellt. Hierbei wurde eine 5-stufige Likert-Skala für die Befragung verwendet (1=sehr unzufrieden/sehr negativ, 5=sehr zufrieden/sehr positiv), und die Fragenblöcke nach Zufriedenheit und Einfluss des Tourismus getrennt abgefragt
4. Empirische Erhebung:
Die Datengrundlage wurde durch eine quantitative Erhebung mittels Telefoninterviews im Zeitraum Januar-Februar 2019 geschaffen. Insgesamt wurden 840 Personen befragt. Die empirische Studie wurde in vier ausgewählten Tiroler Destinationen durchgeführt: Serfaus-Fiss-Ladis, Stubai, Innsbruck Stadt und die Silberregion Karwendel. Diese Regionen wurden basierend auf ihrem touristischen Kernumsatz ausgewählt.
5. Ergebnisverwertung und Implikationen:
Die gesammelten Daten wurden zusammengefasst und interpretiert, um Handlungsempfehlungen für Destinationsmanager und die Tourismusstrategie Tirols abzuleiten.
Der entwickelte Lebensqualitäts-Index (LQI) Der Lebensqualitäts-Index (LQI) wurde aus den subjektiven Wahrnehmungen der Befragten entwickelt. Er besteht aus den Bereichen „Wirtschaft“ (Beschäftigungsmöglichkeiten, finanzielle Situation, Lebenshaltungskosten), „Soziales“ (Versorgungssituation, Infrastruktur, Freizeiteinrichtungen) und „Ökologie“ (Tourismusaufkommen, Umweltschutz, Flächennutzung, Verkehrsaufkommen). Basierend auf der statistischen Analyse wurde „Sicherheit“ als eigenständiger Faktor in den LQI aufgenommen.
Zentrale Ergebnisse
Allgemeine Zufriedenheit: Eine sehr hohe direkt abgefragte Zufriedenheit mit der allgemeinen Lebenssituation wurde in allen vier Regionen festgestellt (Durchschnittswert von 4,25 auf einer Skala von 1 bis 5). Die ländlichen Regionen Stubai (4,38), Silberregion Karwendel (4,32) und Serfaus-Fiss-Ladis (4,29) zeigten tendenziell eine höhere Zufriedenheit als Innsbruck (4,02).
Indirekt ermittelte Zufriedenheit (LQI): Der durchschnittliche LQI für die Zufriedenheit über alle vier Pilotregionen beträgt 3,73. Die Zufriedenheit mit der Sicherheit (4,19) und den sozialen Faktoren (4,05) ist generell sehr hoch, gefolgt von wirtschaftlichen (3,52) und ökologischen Faktoren (3,14).
Einfluss des Tourismus: Der Einfluss des Tourismus auf die allgemeine Lebenssituation wurde von den Befragten im Schnitt als tendenziell positiv bewertet (Durchschnittswert von 3,25). Der indirekt berechnete Wert für den Einfluss des Tourismus auf die verschiedenen Lebensbereiche liegt bei 3,15 und wird somit als leicht positiv eingeschätzt.
Am positivsten wird der Einfluss des Tourismus auf die sozialen Faktoren (3,67) und die Sicherheit (3,12) bewertet. Auf die wirtschaftlichen Faktoren wird der Einfluss als neutral bis tendenziell positiv (3,18) eingeschätzt. Bei den ökologischen Faktoren wird ein leicht negativer Einfluss wahrgenommen (2,62).
Problembereiche:
Insbesondere die Lebenshaltungskosten (Zufriedenheit 2,90; Einfluss des Tourismus 2,42) und das Verkehrsaufkommen (Zufriedenheit 2,61; Einfluss des Tourismus 2,10) wurden kritisch bewertet, wobei hier sowohl die Zufriedenheit gering als auch der Einfluss des Tourismus negativer beschrieben wurde. Auch Umweltschutz und Boden-/Flächennutzung zeigen negative Einflüsse des Tourismus.
Regionale Unterschiede:
In Regionen mit hohem touristischen Kernumsatz (Serfaus-Fiss-Ladis und Stubai) wird der Einfluss des Tourismus signifikant positiver wahrgenommen (Serfaus-Fiss-Ladis 3,39; Stubai 3,23) als in Regionen mit niedrigerem touristischen Kernumsatz (Silberregion Karwendel 3,00; Innsbruck 2,97). Die Zufriedenheit ist in ländlichen Regionen tendenziell höher als in Innsbruck.
Ausblick und Handlungsempfehlungen
Die Studie empfiehlt, den entwickelten Index zukünftig in mehreren Regionen oder Tirol-weit anzuwenden, um regionale Unterschiede detaillierter zu analysieren und politische Entscheidungen fundiert treffen zu können. Es besteht Handlungsbedarf bei den Themen Lebenshaltungskosten (insbesondere Wohnen) und Verkehr/Mobilität, für die innovative Lösungsansätze, möglicherweise durch Digitalisierung und "Sharing Systeme", gefunden werden müssen. Zudem sollten Angebote, die den Einheimischen Kostenvorteile verschaffen, weiterentwickelt werden. Es wird empfohlen, den Faktor "Sicherheit" in zukünftigen Studien separat und detaillierter abzufragen. Der LQI kann als wichtiges Instrument dienen, um den Wert der Einheimischen in der Tourismuspolitik zu untermauern und die Auswirkungen touristischer Projekte umfassend darzustellen.