F.acT: Wieso ist das Thema für die Tiroler Tourismuswirtschaft relevant?
Daniel Sulzenbacher: Overtourism betrifft zunehmend auch alpine Destinationen wie Tirol. Während der Tourismus ein zentraler Wirtschaftsfaktor ist, führen hohe Besucherzahlen insbesondere in sensiblen Naturräumen zu Belastungen für Umwelt, Infrastruktur und Bevölkerung. Verkehrsstaus, Verschmutzung und sinkende Lebensqualität können die langfristige Attraktivität der Region gefährden. Für Tirol ergibt sich somit die Herausforderung, wirtschaftliche Vorteile zu sichern und gleichzeitig ökologische Grenzen zu wahren. Visitor Management (VM) bietet hier einen Ansatz, um Besucherströme gezielt zu lenken und so ein Gleichgewicht zwischen Wertschöpfung, Naturschutz und hoher Gäste- wie Einwohnerzufriedenheit herzustellen.
F.acT: Welches methodische Vorgehen haben Sie in Ihrer Arbeit angewandt?
Daniel Sulzenbacher: Die Untersuchung stützte sich auf 18 leitfadengestützte Interviews in vier von Overtourism belasteten alpinen Destinationen Südtirols. Berücksichtigt wurden drei zentrale Stakeholder-Cluster: Government, Industry und Community. Dieses Vorgehen ermöglichte Vergleiche sowohl zwischen den Destinationen als auch zwischen den unterschiedlichen Akteursgruppen. Dadurch konnten spezifische Perspektiven erfasst und ein differenziertes Verständnis darüber gewonnen werden, wie VM in verschiedenen naturräumlichen Kontexten gedacht und umgesetzt wird.
F.acT: Was sind die Kernergebnisse Ihrer Arbeit und welche Bedeutung haben diese für touristische Destinationen und Betriebe?
Daniel Sulzenbacher: Die Ergebnisse zeigen, dass VM grundsätzlich von allen Stakeholdern als wirksames Instrument anerkannt wird, dessen Erfolg jedoch stark von institutionellen Rahmenbedingungen und der Kooperation aller Akteure abhängt. Einzelmaßnahmen können zwar punktuell entlasten, führen ohne übergreifende Koordination aber häufig zu einer bloßen Verlagerung der Probleme. VM muss demnach integrativ gedacht werden. Im Vergleich der verschiedenen VM-Instrumente wurde das Mobilitätsmanagement als besonders wirksam hervorgehoben, das dieses direkt an einer der Hauptursachen der Belastung, dem motorisierten Individualverkehr, ansetzt. Andere Instrumente wie Pricing werden dagegen nur als bedingt wirksam angesehen und nur als kurzfristige Lösung gesehen. Ein zentrales Problem stellt der Tagestourismus dar, welcher hohe Belastung bei gleichzeitig geringer Wertschöpfung mit sich bringt. Zudem zeigte sich, dass viele Gemeinden an ihre Kapazitäts- und Kompetenzgrenzen stoßen; langfristige Steuerungsfähigkeit ist daher nur durch die Einbindung übergeordneter politischer Ebenen und regionaler Tourismusorganisationen möglich. Für Tirol bedeutet dies: Ohne koordinierte Strategien, die über die lokale Ebene hinausgehen, bleibt die Steuerung touristischer Ströme Stückwerk. Destinationen und Betriebe können jedoch unmittelbar von funktionierendem VM profitieren, indem Belastungen reduziert, Gästezufriedenheit erhöht und die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung gestärkt wird.
F.acT: Welche konkreten Handlungsempfehlungen geben Sie in Ihrer Masterarbeit?
- Ganzheitliche Planung und Koordination: Visitor Management sollte integrativ auf regionaler Ebene geplant werden, um Verlagerungseffekte zwischen Gemeinden zu vermeiden.
- Stärkung des Mobilitätsmanagements: Investitionen in öffentliche Verkehrssysteme, Parkraumbewirtschaftung oder Shuttle-Angebote sind zentrale Stellschrauben zur Entlastung.
- Differenzierung nach Gästetypen: Strategien müssen zwischen Tages- und Übernachtungsgästen unterscheiden, da deren Wirkung auf Wertschöpfung und Belastung sehr unterschiedlich ist.
- Partizipation aller Stakeholder: Die Einbindung der lokalen Bevölkerung und eine transparente Kommunikation erhöhen die Akzeptanz von Maßnahmen.
- Klare Rollenverteilung: Zuständigkeiten zwischen Gemeinden, Regionen und Land Tirol sollten eindeutig geregelt werden.
- Überregionale Unterstützung: Da viele Herausforderungen die Gemeindeebene übersteigen, sind Landes- und Regionalorganisationen gefordert, Ressourcen und Kompetenzen bereitzustellen